Sanierung im digitalen Zeitalter

IT im Sanierungsgutachten nach IDW S6: Sanierungsrisiko (IT-)Geschäftsprozesse (Teil 3)

Bunte Holz-Pizzastücke in Kreisform neben einer Lupe auf blauem Hintergrund. Bild: @Mohamad Faizal, Getty Images via canva.com

Ein Beitrag von Prof. Andreas Crone und Prof. Dr. Christian Jung

In einer Sanierungssituation haben Unternehmer und Sanierer auch und besonders die IT zu betrachten, wozu diese Beitragsreihe verschiedene Teilbereiche der Informationstechnologie aufzeigt. Im ersten und zweiten Teil der Beitragsreihe wurden die Themen Cyber-Sicherheit, Digitalisierung und digitale Transformation als Sanierungsrisiken beschrieben. Im dritten Teil werden die Risiken mangelhafter (IT-)Geschäftsprozesse untersucht.

Teil 3: Sanierungsrisiko (IT-)Geschäftsprozesse

KERNAUSSAGEN

👉 Sanierungsgutachten beleuchten die Geschäftsprozesse zu wenig aus der IT- oder Transformations-Brille und befassen sich damit unvollständig mit der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens.

👉 Fehlende Transparenz und Automatisierung in den Prozessen führen zu erhöhten Kosten und Ressourcenbedarfen sowie mangelnder Skalierbarkeit mit negativem Einfluss auf die Wettbewerbs- und damit Überlebensfähigkeit.

👉 Unternehmer, Sanierer und Transformierer gefährden ohne gründliche Analyse der (IT-) Geschäftsprozesse die Existenz des Unternehmens.

I. Einleitung: Sanierung erfordert IT-Analysen über Transformation und Sicherheit hinaus

Je nach Quelle wurden in Mesopotamien 9.000 Jahre oder 3.500 Jahre v. Chr. bereits erste Formen der Buchführung praktiziert, indem Aufzeichnungen über Handelsaktivitäten und Besitzverhältnisse auf Tonplättchen, Tontafeln und Pech/Teer festgehalten wurden. Mit den ersten Computern existiert die Informationstechnologie je nach Definition z. B. seit 1945. Dazwischen liegen somit also mindestens 5.445 Jahre. Möchten Sie eher die doppelte Buchführung der Italiener im 15. Jahrhundert als Einstieg in die Finanzbuchhaltung werten, reduziert sich die Rechnung um 5.000 Jahre, bestätigt jedoch die Kernaussage: Die Buchhaltung hat gegenüber der IT einen deutlichen historischen Vorsprung.

Der Standard IDW S 6 des Instituts der Wirtschaftsprüfer (Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten) wurde erstmals im Jahr 2009 veröffentlicht und seither mehrfach überarbeitet und aktualisiert. Erst ab 2018 hält hier das Thema IT und Digitalisierung explizit Einzug in den Standard, was der steigenden Bedeutung dieser Thematik für den Sanierungsprozess und den Sanierungserfolg Rechnung trägt. Bezugnehmend hierauf beschreiben Teil 1 und 2 dieser Beitragsreihe die Sanierungsrisiken aufgrund (mangelnder) Digitalisierung, Transformationsfähigkeit und (IT-)Sicherheit unter Berücksichtigung der eher knapp gehaltenen Hinweise und Kommentierungen im IDW S 6.

Möchten wir uns nun streng an den Standard IDW S 6 halten, uns auf dessen notwendige „Komponenten“ beschränken oder möchten wir bereits heute die Gutachten erstellen

  • inklusive aller Notwendigkeiten,
  • in der Annahme, dass der IDW S 6 ohnehin sukzessive in Richtung IT ergänzt werden wird,
  • wissend um die Ergänzungsvorschläge des „Hamburger Arbeitskreis Digitalisierung“ zum Entwurf einer Neufassung des IDW S 6 Standards aus dem Jahr 2018?

Hilfsweise sei bemerkt, wie die deutsche Gesetzgebung – durchaus verständlich – nur langsam den Anschluss an die digitale Welt findet; wie bspw. bei den gesetzlichen Regelungen nachgebessert wird, die sich mit elektronischen Unterschriften, E-Mail-Kommunikation (gibt es seit den 1960er Jahren; weit verbreitet seit über 25 Jahren), Aufbewahrungsfristen oder der (Un-)Gültigkeit von Fax-Kommunikation beschäftigen.

Das bedeutet: Während der für die Prüfung der Buchführung und Rechnungslegung verantwortliche Wirtschaftsprüfer sich nicht allein auf die Prüfung von Eingangsrechnungen oder allgemeiner auf Rechnungsprozesse beschränkt, hat sich die Informationstechnologie nicht auf Digitalisierung, Transformation und (IT-)Sicherheit beschränken zu lassen.

Sondern? In diesem dritten Teil der Beitragsreihe geht es um die (IT-)Geschäftsprozesse, um in den folgenden Teilen weitere IT-Sichten zu beschreiben. Wir werden also die Antwort mit jedem weiteren Beitragsreihenteil vervollständigen.

II. Definition: (IT-)Geschäftsprozesse

(IT-)Geschäftsprozesse umfassen alle relevanten Abläufe und Strukturen, die notwendig sind, um für Kunden Dienstleistungen und Produkte bereitzustellen. Diese Prozesse sind nicht nur für die interne Organisation wichtig, sondern auch für die Interaktion mit externen Partnern, Kunden und anderen Stakeholdern entscheidend. Die Effizienz der (IT-)Geschäftsprozesse kann durch verschiedene Faktoren wie aktuelle Technologien, die Qualität der Daten und das Engagement der Mitarbeitenden beeinflusst werden. Mangelnde Optimierung oder veraltete Systeme oder Prozesse können die Reaktionsfähigkeit und Resilienz des Unternehmens erheblich schwächen und dadurch den Unternehmens- und in der Krise den Sanierungserfolg gefährden.

III. Relevanz von (IT-)Geschäftsprozessen für Sanierungsgutachten nach IDW S 6

Im Rahmen der internen und externen Unternehmensanalyse (…) ist darzustellen und zu beurteilen, ob das Unternehmen voraussichtlich in der Lage ist, sich auf die Herausforderungen der Digitalisierung einzustellen. 

Die Wettbewerbsfähigkeit als zweite Stufe der Sanierungsfähigkeit (erste Stufe: Fortführungsfähigkeit) basiert neben einem tragfähigen Geschäftsmodell auf einem qualifizierten Management und Personal sowie funktionierenden Prozessen im Unternehmen, um den Herausforderungen des Markts (Globalisierung, Digitalisierung u. a.) proaktiv begegnen zu können, mithin auf der Wandlungs- und Adaptionsfähigkeit des Unternehmens an externe Entwicklungen. 

Die Optimierung und das Redesign von operativen Geschäftsprozessmodellen umfassen bereits konzeptionelle und in der Praxis vielfach geübte Aspekte wie Wertpositionierung, Wertangebot, Wertschöpfung, Wertabschöpfung und Wertdisziplin sowie die Splittung von Hauptprozessen und Nebenprozessen in Kombination mit Prozessanpassungen, mit dem Ziel, Prozessexzellenz zu erreichen.

Stellen wir uns einen sehr gut funktionierenden analogen Prozess vor, bspw. einen einfachen, effizienten, effektiven, sicheren, günstigen Rechnungsprüfungsprozess; dieser ist immer besser als ein mangelhafter analoger oder lückenhafter Prozess. Doch beide unterstützen weder die Skalierbarkeit, Zukunftsfähigkeit noch die Automatisierbarkeit und genügen heute damit nicht mehr den Marktanforderungen!

Daraus ergibt sich, dass eine fundierte Analyse und eine Optimierung dieser Prozesse insbesondere in Krisensituationen unverzichtbar sind.

Unternehmen und Sanierer/Transformierer sind bestrebt, Geschäftsprozesse kontinuierlich zu optimieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben, wieder zu werden sowie auch kosteneffizient zu arbeiten. Eine professionelle Sanierung erfordert eine systematische Prüfung der bestehenden (IT-)Geschäftsprozesse. Unzureichende oder nicht optimierte Prozesse können erhebliche Auswirkungen auf die Liquidität und die langfristige Stabilität des Unternehmens haben. Gemäß IDW S 6 (2023), Tz. 66, ist eine fundierte digitale Strategie erforderlich, um die IT-Geschäftsprozesse so zu gestalten, dass sie Resilienz gegenüber disruptiven Marktveränderungen bieten. Ohne optimierte digitale Prozesse – wie skalierbare Absatzmöglichkeiten und Vorkehrungen zur Cyberabwehr – erhöht sich das Risiko, dass das Geschäftsmodell den Marktanforderungen langfristig nicht standhält. Dies kann den Fortbestand und damit den Erfolg der Sanierung erheblich gefährden. Sanierungsgutachten, die die Effizienz der (IT-)Geschäftsprozesse nicht berücksichtigen, laufen Gefahr, wesentliche Risikofaktoren zu übersehen. Unternehmen, die in der digitalen Ära nicht über transparente und automatisierte Geschäftsprozesse verfügen, sind oft anfälliger für Störungen und Krisen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie weder dem demografischen („wer will das heute noch machen?“), noch dem transformativen (Geschwindigkeit, Skalierbarkeit und unmittelbarer, stetiger „Kundenresponse“ ist Marktanforderung) Wandel länger standhalten können.

In Zeiten der digitalen Transformation sind automatisierte IT-Geschäftsprozesse entscheidend für den Fortschritt und Unternehmenserfolg. Mangelhafte Prozesse stellen nicht nur interne Herausforderungen dar, sondern führen auch zu einer negativen Kundenerfahrung und einem Verlust von Wettbewerbsvorteilen. In einer Sanierungssituation münden ineffiziente Prozesse oft in einen unbeherrschbaren Betrieb mit anhaltenden finanziellen Schwierigkeiten, unaufhörlichem Ressourcenbedarf und dem Fehlen der Erreichung von Resilienz im herausfordernden Arbeitsmarkt. Leider gilt dies auch für gute, aber rein analoge Prozesse, weil sie oft nicht die nötige Flexibilität und Reaktionsfähigkeit bieten, um sich schnell an veränderte Marktbedingungen anzupassen. Insbesondere in Krisensituationen sind Unternehmen gefordert, agile Lösungen zu entwickeln, um zukünftigen Herausforderungen effektiv begegnen zu können.

Seien analoge Prozesse noch so gut, zahlen sie nicht genügend auf die Fortführungsfähigkeit ein! Finden sich generalistische Aussagen zu Sicherheit und Digitalisierung(-sfähigkeit) noch in wenigen Sanierungsgutachten, erfolgt die Erwähnung von – transformierten – Prozessen und deren zwingender Notwendigkeit äußerst selten.

ZWISCHENERGEBNIS

👉 Für die Erstellung von Sanierungsgutachten ist die Untersuchung aller Kernprozesse möglicherweise nach IDW S 6 formal nicht zwingend; und dennoch faktisch notwendig, da die digitale Transformation dieser Prozesse ein weiterer zentraler Bestandteil eines zukunfts- und tragfähigen Geschäftsmodells ist; während die Praxis weiterhin meist noch ohne arbeitet.

IV. Analyse der Effizienz und Effektivität von Geschäftsprozessen

Die Effizienz von Geschäftsprozessen ist grundsätzlich messbar, auch wenn dies im vorliegenden Kontext nicht weiter ausgeführt wird. Für ein vollständiges Sanierungsgutachten ist jedoch eine detaillierte Betrachtung der Kernprozesse unerlässlich. Das Niveau, der Umfang und der Detaillierungsgrad sind individuell für das betroffene Unternehmen zu definieren.

Wird auch die Effektivität oder vielmehr die Notwendigkeit von Geschäftsprozessen, von Werkzeugen, von Technik, Equipment, Dienstleistern oder Infrastrukturelementen untersucht? Wir als Autoren meinen, es sei zwingend erforderlich, den Blick zu weiten und genau das zu tun. Folgende Beispiele zeigen, was gemeint, bzw. wieviel eingespart und simplifiziert werden kann. Jede entfallende Komplexität hilft dem Unternehmen im Sanierungsprozess, hilft den Beratern und Finanzierern zu verstehen, hilft den Mitarbeitenden ihren Job zu erledigen, hilft den Kunden den Nutzen zu erkennen.

BEISPIEL 1

IT-WERKZEUGE

Es gibt inzwischen ein Add-On für SAP-Systeme, die via KI „Mehrwert im Geschäftsreisenmanagement schaffen“. Es soll Fehler reduzieren, die Produktivität steigern, die User-Experience verbessern, Prozesse beschleunigen, Betrug aufdecken, globale Steuerprozesse optimieren usw. Also: schnell implementieren?

Die Antwort ist differenziert zu geben: Wir raten nicht zu Elfenbeinturmaussagen, Geschäftsreisen komplett zu unterlassen. Andererseits ist eine massive Reduktion der Reisen bei einer Vielzahl von Mittelständlern wie weltweit operierenden Konzernen regelmäßig möglich, während sich andere bei den Dienstreisen und den Reisekosten (sowie dem CO2-Ausstoß) auf oder über Vor-Pandemie-Niveau bewegen. Dies ist individuell unterschiedlich zu beurteilen. Festzuhalten ist in diesem Beispiel jedoch: Prüfe erst die Sinnhaftigkeit, dann stelle weitere Überlegungen wie Weg zum Ziel, Nutzen, Aufwand u. a. an.

BEISPIEL 2

 EQUIPMENT

Benötigt das Unternehmen sämtliche Drucker, Kamerasysteme, Festnetztelefone, lokale Server, Projektoren, Arbeitsplätze (Remote-Work), Postfächer u. v. a. m.? Wer ist für diese verantwortlich? Welche Kosten erzeugen sie über Abschreibung und Wartung hinaus? Welche Prozessschwächen verursachen sie? Welche Prozessschritte entfallen ersatzlos, wenn die dazugehörige Hardware entfällt?

WEITERE BEISPIELE:

  • Repetitive Qualitätskontrollen eines Produkts, das bereits fehlerfrei und automatisiert gefertigt wird.
  • Aufwendige Rechnungs- oder Retouren- oder Fehlerklärungsprozesse für genügend seltene, kostengünstige und unkritische Fehler.
  • Mehrfache Erstellung von Berichten für verschiedene Stakeholder, die im Grunde genommen dieselben Informationen an verschiedene Empfänger liefern.
  • Controlling von Vergangenheitszahlen, ohne daraus für die Zukunft zu lernen.
  • Komplexe Genehmigungsprozesse für kleine Ausgaben, Urlaubs- oder Homeoffice-Regelungen und deren Verwaltung, während das Unternehmen eine agile Unternehmenskultur fördert und Mitarbeitende üblicherweise vertrauensvolle Entscheidungen treffen.

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Dies ist eine Kurzfassung des Beitrages aus NWB Sanieren Nr. 1/2025  Seite 20

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