IT im Sanierungsgutachten nach IDW S6: Risiko Digitalisierung & Transformation (Teil 2)
Ein Beitrag von Prof. Andreas Crone und Prof. Dr. Christian Jung
In einer Sanierungssituation haben Unternehmer und Sanierer auch und besonders die IT zu betrachten, wozu diese Beitragsreihe verschiedene Teilbereiche der Informationstechnologie aufzeigt. Im ersten Teil der Beitragsreihe wurde das Thema Cyber-Sicherheit bzw. deren Mängel als Sanierungsrisiko beschrieben. Im zweiten Teil werden die Risiken einer fehlenden Digitalisierung und digitalen Transformation untersucht.
Teil 2: Sanierungsrisiko Digitalisierung & Transformation
KERNAUSSAGEN
👉 Sanierungsgutachten beleuchten nicht oder zu wenig die Themen Digitalisierung und Transformation.
👉 Sanierungsgutachten ohne individuelle Analyse von Grad und Ausprägung der Digitalisierung und der digitalen Transformation sowie deren Auswirkungen auf das Geschäftsmodell sind nicht aussagekräftig.
👉 Unternehmer und Sanierer riskieren ohne umfassende Analyse und Beurteilung der Digitalisierung und Transformation unmittelbar die Unternehmensexistenz oder das spätere Scheitern der Sanierung.
I. Einleitung: Kein Unternehmen wird ohne Digitalisierung und digitale Transformation auf Dauer markt- und wettbewerbsfähig sein
Digitalisierung und digitale Transformation stellen Unternehmen weltweit vor Herausforderungen und bieten zugleich beispiellose Chancen. Unternehmen mĂĽssen nicht nur ihre bestehenden Prozesse und Strukturen anpassen, sondern auch die regulatorischen Anforderungen und Compliance-Aspekte im Auge behalten. Datenschutz, IT-Sicherheit und die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben sind zentrale Themen, die auch im Rahmen eines IDW S 6-Gutachtens angemessen berĂĽcksichtigt werden mĂĽssen und zunehmend fĂĽr alle Stakeholder an Bedeutung gewinnen.
Die digitale Transformation erfasst alle Branchen und wirkt sich nachhaltig auf Geschäftsmodelle, Wertschöpfungsketten und Wettbewerbsstrategien aus. Vorbeugend wird klargestellt, dies gilt auch, wenn im ersten Teil dieser Beitragsreihe die Vulnerabilität rund um das Thema Cyber-Sicherheit beschrieben wurde. Multikrisen, Globalisierung, die Veränderungsgeschwindigkeit von Rahmenbedingungen und Regulatorik, der Ersatz von fehlenden Arbeitskräften und Know-how, die sich ...wandelnde Demografie und kürzer werdende (Lebens-)Arbeitszeiten, zunehmende Marktanforderungen an Geschwindigkeit und Transparenz, Attraktivität für Arbeitnehmer, New Work und Home-Office-Forderungen, die Art der Kundengewinnung und -bindung, die Aufrechterhaltung der Betriebskontinuität und nicht zuletzt die Transformation anderer Marktteilnehmer zwingen zur Digitalisierung und Transformation des eigenen Unternehmens. Ohne Digitalisierung und Transformation ist ein Unternehmen heute wie zukünftig chancenlos im nationalen und globalen Wettbewerb.
Im Folgenden werden diese Themen im Umfeld von Krisenunternehmen untersucht – nachdem in Abschnitt II zunächst die Begrifflichkeiten erklärt werden.
II. Digitalisierung vs. digitale Transformation
Digitale Daten sind Daten, die aus Ziffern und Sonderzeichen bestehen. Sie sind also eine Menge von Bits und Bytes, die eine bestimmte Bedeutung haben. Durch Digitalisierung werden bisher analoge Werte digital, d. h. zum Digitalisat.
BEISPIEL
Die Digitalisierung (z. B. ein Scanvorgang) einer analogen Rechnung (z. B. Papier) fĂĽhrt zu einem digitalen Dokument/Digitalisat (z. B. PDF-Datei).
Die digitale Transformation hingegen ist etwas vollständig anderes. Sie ist ein beträchtlicher, einschneidender und stetiger Veränderungsprozess in Wirtschaft, Dienstleistung, Verkehr, Staat, in der Gesellschaft, im Kopf und im Unternehmen selbst. Festzuhalten bleibt:
- Digitalisierung ist die Konvertierung analoger Daten in „0“ oder „1“, z. B. die Konvertierung eines Blatts Papier in eine Datei.
- Digitalisierung bedeutet nicht ohne Weiteres Automatisierung oder digitale Transformation.
- Die Digitalisierung ist aber obligatorische Basis fĂĽr digitale Transformation.
III Relevanz der Digitalisierung fĂĽr ein Sanierungsgutachten nach IDW S 6
Die Digitalisierung ist Basis für die Vielzahl von Möglichkeiten wie die Verbesserung von Effizienz und Präzision der Datenanalyse. Moderne Analysetools und Big-Data-Technologien ermöglichen es, umfassende Datenmengen in kurzer Zeit auszuwerten und präzise Prognosen zu erstellen. Dies kann entscheidend dazu beitragen, Schwachstellen frühzeitig zu erkennen und gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit zu entwickeln. Darüber hinaus eröffnen digitale Geschäftsmodelle neue Umsatzpotenziale und können die Marktposition eines Unternehmens nachhaltig stärken und machen globales (Out-)sourcing, das Follow-the-Sun-Modell oder Remote-Work erst möglich.
Die Autoren fassen sich hier kurz: Ohne Digitalisierung sind Unternehmen im Wettbewerb auf Dauer chancenlos, da u. a. eine bisher nicht begonnene oder vollständig abgeschlossene Digitalisierung aufzuholen, enorme monetäre, kapazitive und zeitliche Ressourcen bindet, die meist weder im zu sanierenden Unternehmen noch auf dem heutigen Arbeitsmarkt verfügbar sind. Aus der Erfahrung der Autoren werden Vollständigkeit, Kontinuität und Qualität der Digitalisierung aber regelmäßig in Sanierungsgutachten nicht oder nur rudimentär behandelt, obwohl diese Themen zentrale Bedeutung für die Aussage zur Sanierungsfähigkeit haben, denn die Sanierungsfähigkeit eines Unternehmens umfasst weit mehr als nur die finanzielle Fortführungsfähigkeit. Sie erfordert eine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit, die nicht nur auf dem Potenzial der Mitarbeitenden beruht, sondern auch maßgeblich auf der Fähigkeit des Unternehmens, sich zu wandeln und anzupassen, insbesondere angesichts der Herausforderungen der Digitalisierung (vgl. IDW S 6, Tz. 25).
HINWEIS
Die Relevanz des Themas „Digitalisierung“ in einem Sanierungsgutachten ist gegeben, die intensive Befassung damit geschieht riskant selten.
IV. Relevanz der digitalen Transformation in Sanierungsgutachten nach IDW S 6
Die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens hängt zunehmend davon ab, wie gut es in der Lage ist, digitale Technologien zu integrieren und innovative Lösungen zu implementieren. Unternehmen, die diese Transformation erfolgreich meistern, können nicht nur ihre internen Prozesse optimieren, sondern auch ihre Kundenbeziehungen verbessern und neue Marktsegmente erschließen. Dies ist besonders wichtig in Krisenzeiten, da eine starke Wettbewerbsposition oft der „wichtigste“ Schlüssel zur erfolgreichen Sanierung ist.
Der Umfang der digitalen Transformation hängt stark von der Branche, der Größe des Unternehmens und den spezifischen Herausforderungen ab, mit denen es konfrontiert ist. Studien zeigen, dass Unternehmen, die digitale Technologien implementieren, im Durchschnitt eine Produktivitätssteigerung von 20 bis 25 % realisieren können. Die Autoren gehen inzwischen von deutlich höheren möglichen Steigerungen aus. Für kleine und mittlere Unternehmen ist die digitale Transformation ebenso entscheidend, um sich an neue Marktbedingungen anzupassen.
Setzen wir voraus, das Unternehmen wurde bereits digitalisiert, dann ist zu klären, wo es in der kontinuierlichen Transformation steht, um im Wettbewerb dauerhaft bestehen zu können.
HINWEIS
Das Thema „nachhaltige Transformation“ muss zwingend Bestandteil der Ist-Analyse des Unternehmens sein, um deren Auswirkung auf das bestehende und ggf. anzupassende zukünftige Geschäftsmodell beurteilen zu können. Die Integration digitaler Technologien in alle Bereiche eines Unternehmens führt zu grundlegenden Änderungen in der Art, wie Unternehmen operieren und Werte für Kunden schaffen. Daraus folgt unmittelbar die Relevanz der digitalen Transformation für Sanierungsgutachten, welcher gemäß den Erfahrungen der Autoren noch weniger gefolgt wird als im Themenkreis des vergleichsweisen einfach festzustellenden Reifegrades der Digitalisierung.
Konkret bezogen auf die Anforderungen an Sanierungsgutachten ist festzuhalten, dass die digitale Transformation ein zentraler Bestandteil des Leitbilds eines sanierten Unternehmens und eines zukunftsfähigen Geschäftsmodells ist. Dennoch wird dieses wichtige, sanierungsrelevante Thema in vielen Sanierungsgutachten oft nur oberflächlich behandelt und fälschlicherweise mit allgemeinen IT-Themen vermischt. Angesichts der kontinuierlichen technologischen Innovation und der zunehmenden Bedeutung digitaler Prozesse ist es aus Sicht der Autoren unerlässlich, dass auch die Methoden und Werkzeuge in der Beratungsbranche in Bezug auf diese Thematik entsprechend weiterentwickelt werden. Ein fundiertes IDW S 6-Gutachten muss nicht nur die traditionellen finanziellen und operativen Kennzahlen eines Unternehmens berücksichtigen, sondern auch eine Bewertung des Reifegrads der Digitalisierung und der digitalen Transformation vornehmen.
Dies ist von entscheidender Bedeutung, um eine realistische Einschätzung der Sanierungsfähigkeit und der Wettbewerbsposition eines Unternehmens zu erhalten. Entsprechend fordert IDW S 6, Rz. 60, dass eine interne und externe Analyse des Unternehmens im Rahmen der Erstellung eines Sanierungskonzepts auch untersuchen muss, ob das Krisenunternehmen den Anforderungen der Digitalisierung und Transformation gewachsen ist.
Darüber hinaus ist die digitale Strategie des zu sanierenden Unternehmens entscheidend für den Sanierungserfolg, da sie zentrale Treiber für die Entwicklung von Alleinstellungsmerkmalen und die Resilienz gegen disruptive Veränderungen im Markt bietet (vgl. IDW S 6, Rz. 66). Wichtige Elemente dieser Strategie umfassen digitale Absatzmöglichkeiten, optimierte digitale Geschäftsprozesse und umfassende Maßnahmen zur Abwehr von Cyberangriffen. Ohne solche Maßnahmen kann die Zukunftsfähigkeit des Geschäftsmodells und damit auch der Erfolg der Sanierung erheblich gefährdet sein. Eine sorgfältige Berücksichtigung dieser Punkte in das Sanierungskonzept ist daher essenziell für die langfristige Erhöhung der Resilienz und Stabilität des Unternehmens und stärkt die Überzeugungskraft des Konzepts für externe Adressaten.
HINWEIS
Die Relevanz fĂĽr die digitale Transformation in Sanierungsgutachten ist gegeben und gefordert, die praktische BerĂĽcksichtigung erfolgt selten (ausreichend).
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Dies ist eine Kurzfassung des Beitrages aus NWB Sanieren Nr. 10/2024 Seite 340
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