BFH zeigt Steuerberatern ihre Pflichten auf

Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs

Eine junge Frau zeigt auf sich selbst, sechs weitere ausgestreckte Arme zeigen auf sie Bild: @ stock.adobe - pathdoc

Ein Beitrag von Prof. Dr. Jens M. Schmittmann

I. Einführung

Nach § 52d Satz 1 FGO sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Die Vorschrift ist nach Art. 26 Abs. 7 des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013 (BGBl 2013 I S. 3786) am 1.1.2022 in Kraft getreten. Das elektronische Dokument muss gem. § 52a Abs. 3 Satz 1 FGO mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Rechtsanwälte kennen den elektronischen Rechtsverkehr in Form des „besonderen elektronischen Anwaltspostfachs“ (beA) zumindest „passiv“ bereits seit 2016. Zur aktiven Nutzung sind sie seit dem 1.1.2022 verpflichtet.

II. Nutzungspflicht für Steuerberater

Zum 1.1.2023 wurde es auch für Steuerberater ernst: Zu den Aufgaben der Bundessteuerberaterkammer (BStBK) gehört gem. § 86 Abs. 2 Nr. 10 Steuerberatungsgesetz (StBerG) eine Steuerberaterplattform einzurichten, die der elektronischen Kommunikation und der elektronischen Zusammenarbeit dient und die einen sicheren Austausch von Daten und Dokumenten ermöglicht. Weiterhin hat die BStBK gem. § 86 Abs. 2 Nr. 11 StBerG die besonderen elektronischen Steuerberaterpostfächer („beSt“) einzurichten. Die Mitglieder der Steuerberaterkammern sind gem. § 86c StBerG verpflichtet, sich bei der Steuerberaterplattform mit dem für sie eingerichteten Nutzerkonto zu registrieren. Der BStBK obliegt gem. § 86c Abs. 2 StBerG die Prüfung der Identität des Berufsträgers. Die BStBK richtet über die Steuerberaterplattform gem. § 86d Abs. 1 Satz 1 StBerG für jeden Steuerberater ein besonderes elektronisches Postfach empfangsbereit ein. Hinsichtlich der Einzelheiten enthält § 86f StBerG eine Verordnungsermächtigung zugunsten des BMF. Die Verordnung über die Steuerberaterplattform und die besonderen elektronischen Steuerberaterpostfächer (StBPVV) ist am 30.11.2022, immerhin einen Monat vor ihrem Inkrafttreten, bekannt gemacht worden (BGBl 2022 I S. 2105 ff.; vgl. Schmittmann, StB 2023 S. 46 ff.).

Der BFH (Beschluss vom 16.1.2024 - VIII B 141/22, NWB VAAAJ-58226) hat entschieden, dass Steuerberater das „beSt“ nutzen müssen, da seit dem 1.1.2023 ein sicherer Übermittlungsweg i. S. des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung steht, zu dessen Nutzung sie gem. § 52d Satz 2 FGO verpflichtet sind. Es ist daher nur konsequent, dass eine beim BFH nach dem 31.12.2022 mittels einfachen Briefs eingegangene Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde, die durch einen Steuerberater eingereicht wurde, unwirksam ist. Die BStBK sei durch Einrichtung der Steuerberaterplattform und der beSt-Infrastruktur ihrer gesetzlichen Verpflichtung fristgerecht nachgekommen. Steuerberatern sei es möglich gewesen, sich regelmäßig vor dem 1.1.2023 für die Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr registrieren zu lassen, indem diese vom sog. „fast lane“-Verfahren der BStBK Gebrauch machten.

Neuerlich hat der BFH (Beschluss vom 8.5.2024 - II R 3/23, NWB SAAAJ-67445) konstatiert, dass Steuerberatern seit dem 1.1.2023 durch das „beSt“ ein sicherer Übermittlungsweg zur Verfügung steht. Zugleich weist das Gericht darauf hin, dass nach der FGO vertretungsberechtigte Personen dem Gericht Schriftsätze als elektronisches Dokument übermitteln müssen, wenn ihnen dafür ein sicherer Übertragungsweg zur Verfügung steht. Der BFH bekräftigt die bisherige Rechtsprechung, wonach für die in § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO genannten Steuerberater seit dem 1.1.2023 ein sicherer Übermittlungsweg i. S. des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung steht. Dabei verweist der Senat ausdrücklich darauf, dass seit dem 1.1.2023 gem. § 157e StBerG die BStBK über die Steuerberaterplattform für jeden Steuerberater ein „beSt“ empfangsbereit einrichtet. Daher sind Steuerberater ab diesem Zeitpunkt nach § 52d Satz 2 FGO nutzungspflichtig (so BFH, Beschluss vom 8.5.2024 - II R 3/23, NWB SAAAJ-67445, Rz. 16, unter Hinweis auf BFH, Beschluss vom 2.2.2024 - VI S 23/23, NWB NAAAJ-59993, BFH/NV 2024 S. 415, Rz. 6; BFH, Beschluss vom 28.4.2023 - XI B 101/22, NWB NAAAJ-39013, BStBl 2023 II S. 763, Rz. 13).

Im Übrigen sind nicht nur Rechtsanwälte und Steuerberater verpflichtet, ein Rechtsmittel und dessen Begründung an den BFH ausschließlich als elektronisches Dokument zu übermitteln, sondern auch die Finanzverwaltung. Ein FA ist eine Behörde, die gem. § 52d Satz 1 FGO bereits seit dem 1.1.2022 vorbereitende Schriftsätze als elektronisches Dokument zu übermitteln hat (so BFH, Beschluss vom 15.5.2024 - VII R 26/22, NWB FAAAJ-68242, Rz. 16). Verstößt die Finanzverwaltung gegen die Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs, führt dies zur Unwirksamkeit der Prozesshandlung (so BFH, Rz. 17, unter Hinweis auf BFH, Beschluss vom 28.4.2023 - XI B 101/22, XI B 101/22, BFHE 279 S. 523; BFH, Beschluss vom 29.11.2022 - VIII B 88/22, NWB LAAAJ-29217, Rz. 6; BFH, Beschluss vom 23.8.2022 - VIII S 3/22, NWB OAAAJ-21981, BFHE 276 S. 266, Rz. 9).

Eine Wiedereinsetzung kam im vorliegenden Fall nicht in Betracht, da die Angabe der Hausanschrift und des Telefax-Anschlusses des BFH von einem fachkundigen Beteiligten nicht dahin verstanden werden kann, dass er das Rechtsmittel abweichend von den gesetzlichen Anforderungen des § 52d FGO auch postalisch oder per Telefax beim BFH einlegen und begründen darf (so BFH, Beschluss vom 15.5.2024 - VII R 26/22, NWB FAAAJ-68242, Rz. 22; unter Hinweis auf BFH, Be- schluss vom 2.2.2024 - VI B 13/23, NWB YAAAJ-59382, Rz. 12).

Allerdings hat der BFH (Beschluss vom 23.4.2024 - VIII B 31/23, NWB SAAAJ-66674) entschieden, dass ein Terminsaufhebungs- oder Terminsverlegungsantrag, der schriftlich, aber nicht per „beSt“ beim Gericht eingereicht wird, nicht formunwirksam ist.

III. Nutzungspflicht der Steuerberatungsgesellschaften

Bei Steuerberatungsgesellschaften sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Zu der Nutzungspflicht des „beA“ für eine Rechtsanwaltsgesellschaft mbH hat der BFH (Urteil vom 16.1.2024 - VII R 34/22, NWB DAAAJ-68247) entschieden, dass vor dem 1.8.2022 für alle Rechtsanwaltsgesellschaften mbH als Bevollmächtigte keine Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs gem. § 52d Satz 1 oder 2 FGO bestand. Dies galt auch, wenn sie durch einen Rechtsanwalt als Vertreter i. S. des § 62 Abs. 2 Satz 3 FGO handelte. Bei Rechtsanwälten war zunächst die Einrichtung von Postfächern für Gesellschaften nicht vorgesehen. Erst ab dem 1.8.2022 richtete die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) nach § 31b Abs. 1 BRAO für Berufsausübungsgesellschaften ein beA als Gesellschaftspostfach ein. Berufsausübungsgesellschaften können daher auch erst seit dem 1.8.2022 zur Nutzung des beA gegenüber der Finanzgerichtsbarkeit verpflichtet sein (so BFH, Urteil vom 16.1.2024 - VII R 34/22, NWB DAAAJ-68247, Rz. 19).

Nach der für Steuerberater maßgebenden StBPPV richtet die BStBK den Steuerberatern, den Steuerbevollmächtigten und den Berufsausübungsgesellschaften i. S. der §§ 49 und 50 StBerG sowie den Steuerberaterkammern und sich selbst Nutzerkonten auf der Steuerberaterplattform ein (§ 2 Abs. 1 StBPPV). Für Steuerberater bestand daher – anders als bei Rechtsanwälten – kein Vakuumzeitraum, in dem zwar die Berufsträger selbst, nicht aber die Berufsausübungsgesellschaften zur Nutzung verpflichtet waren.

IV. Neubewertung der Nutzungspflicht wegen mangelnder Rechtsgrundlage?

Die Nutzungsmöglichkeiten und die damit einhergehenden Nutzungspflichten für Steuerberater ab dem 1.1.2023 sind durch die StBPPV bedingt, da die Einrichtung der Nutzerkonten aufgrund von § 2 StBPPV und die Registrierung bei der Steuerberaterplattform und die Erstanmeldung am besonderen elektronischen Steuerberaterpostfach gem. § 3 StBPPV erfolgt.

Die Nutzungspflicht für das „beSt“ wird vom BFH (Beschluss vom 17.4.2024 - X B 68, 69/23, NWB MAAAJ-66676) in Zweifel gezogen. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des BVerwG (Urteil vom 20.4.2023 - 2 C 18/21, NWB VAAAJ-46066, NVwZ 2023 S. 1423, Rz. 16) konstatiert der BFH, dass der wirksame Erlass einer Rechtsverordnung voraussetzt, dass die formellgesetzliche Ermächtigungsgrundlage im Zeitpunkt des Erlasses der Rechtsverordnung bereits in Geltung gestanden hat, so dass von ihr auch erst nach Vorliegen Gebrauch gemacht werden kann (so schon BVerfG, Urteil vom 26.7.1972 - 2 BvF 1/71, BVerfGE 34 S. 9, unter B.II.2.).

Der X. Senat des BFH hält es für zweifelhaft, ob die StBPPV, die Grundlage für die Erstregistrierung zum besonderen elektronischen Steuerberaterpostfach, für dessen Ausgestaltung und damit für die Nutzungspflicht nach § 52d Satz 2 FGO ist, wirksam geworden ist. Die Verordnung wurde am 25.11.2022 erlassen (BGBl 2022 I S. 2105 vom 30.11.2022); ihre Ermächtigungsgrundlage (§ 86f StBerG) war aber erstmals nach Ablauf des 31.12.2022 anzuwenden (§ 157e StBerG). Während bei den Rechtsanwälten die formellgesetzliche Ermächtigungsgrundlage bereits zum 1.7.2014 in Kraft getreten sei, fehle es daran bei den Steuerberatern und dem „beSt“.

Zudem hat der BFH (Rz. 26) Zweifel daran, ob im Hinblick auf die Anforderungen der DSGVO die Nutzung des „beSt“ verpflichtend sein kann. Insbesondere regele die Norm des § 86d StBerG nur die passive Nutzungspflicht und reiche als Rechtsgrundlage für die aktive Nutzungspflicht nicht aus.

V. Fazit

Die Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs sollte – ungeachtet der genannten gesetzlichen Verpflichtungen – für Rechtsanwälte und Steuerberater sowie Berufsausübungsgesellschaft zur Selbstverständlichkeit werden. Die Nutzung der elektronischen Übermittlung spart nicht nur Ressourcen, indem kein Papier verbraucht und kein Porto aufgewendet werden muss, sondern schafft zudem auch die Möglichkeit der Weiterverarbeitung ohne Medienbruch.

Selbst wenn die Ausführungen des X. Senats des BFH hinsichtlich der fehlenden Wirksamkeit der StBPPV durchaus überzeugen können, ist schon aus Gründen der Haftungsvermeidung durch Rechtsanwälte und Steuerberater sowie Berufsausübungsgesellschaften ausschließlich der elektronische Rechtsverkehr zu nutzen. Wirtschaftsprüfer sowie Wirtschaftsprüfungsgesellschaften trifft diese Verpflichtung derzeit nicht, da ihnen kein sicherer Übermittlungsweg zur Verfügung steht.

 

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Dieser Beitrag erschien in der StuB 12/2024 Seite 479

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