Mitarbeitende für Digitalisierung begeistern

Alle einsteigen, bitte: Abfahrt 5 vor 12 nach Digitalien

Ein Mann zeigte drei Mitarbeitern am Tablet eine Digitalisierungslösung. Bild: ©nd3000 via Canva.com

Von Angela Hamatschek

Der digitale Zug hat inzwischen ganz schön Fahrt aufgenommen und durch pandemiebedingtes Homeoffice sind die meisten Kanzleien mehr oder weniger freiwillig auf den Zug aufgesprungen. Doch nach wie vor gibt es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die an ihren bewährten Prozessen und gewohnten Arbeitsweisen festhalten. Sie haben zwar Papierbelege durch Dateien ersetzt, doch die Chancen der Automatisierung durch Schnittstellennutzung und veränderte Abläufe werden nicht genutzt oder überhaupt erkannt.

Konsequenz: Digital aufgeschlossene Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen arbeiten anders mit ihren Mandanten und Mandantinnen zusammen als die Prozess-Bewahrer. Das führt dann in der Kanzlei zu zwei- oder mehrgleisigen Prozessen, Checklisten werden aufgebläht oder gar nicht genutzt, schnell mal für eine Kollegin oder einen Kollegen einspringen wird schwieriger und der Stimmung untereinander tut es auch nicht gut.

Allerhöchste Eisenbahn also, alle auf die Reise mitzunehmen. Sie schaffen es zum Glück auch jetzt noch, den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die noch am Pendelordner-Bahnsteig stehen, beim Einsteigen in den Zug die Hand zu reichen.

Digitalisierung und Automatisierung sind Veränderungsprojekte

Die gute Nachricht: Es ist eine ganz normale menschliche Reaktion, auf Veränderungen und Neues ablehnend zu reagieren. Das hat verschiedene Gründe:

  • Wir fühlen uns in unserer Komfortzone wohl und sicher. Veränderungen bedeuten oft Unsicherheit und lösen Angst aus.
  • Wir sind Gewohnheitstiere und haben bestimmte Routinen und Muster. Veränderungen erfordern, dass wir uns an neue Umstände anpassen, was als Stress empfunden wird, wenn nicht ausreichend Zeit vorhanden ist, das Neue zu lernen.
  • Wir sind Verlustminimierer, d.h. es fällt uns schwer, etwas auf- oder wegzugeben und wir halten mit aller Kraft daran fest – egal ob es langfristig Sinn macht oder nicht.

Zeigen Sie Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern also immer wieder auf, wohin die Reise geht und dass es dort für sie schön ist – auch wenn die Reise selbst beschwerlich ist. Jeder Mitarbeiter hat dabei individuelle erstrebenswerte Ziele. Finden Sie heraus, was die jeweilige Motivation ist, so dass jeder Einzelne weiß, warum sich die Reise für sie oder ihn persönlich lohnt.

Wie sieht Digitalien aus? Hier drei lohnenswerte Reiseziele aus Mitarbeitersicht
1. Dolce Vita – die flexible Arbeitsplatzgestaltung

Dieser Punkt ist nicht zu verwechseln mit „immerzu und von überall Arbeiten“. Das 100% Homeoffice ist für die meisten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen weder wünschenswert noch für die Kanzlei sinnvoll.  Doch die Möglichkeit durch einen zweiten Arbeitsplatz zu Hause den Tagesablauf flexibler gestalten zu können, ist für viele attraktiv. Kinder, pflegebedürftige Eltern oder auch Enkelkinder erfordern in den heutigen Familienstrukturen ganz anderen Einsatz als in der klassischen Familie aus dem letzten Jahrhundert.

2. Strand und Meer – entspannter Arbeiten

In den meisten Kanzleien arbeiten die Mitarbeitenden an der Kapazitätsgrenze. Der Gesetzgeber packt immer weitere Aufgaben obendrauf, die Mandanten und Mandantinnen werden fordernder, das Finanzamt wälzt Arbeit auf die Kanzleien ab. Ganz zu schweigen von den ständigen Fristen, die eingehalten werden müssen.

Die Digitalisierung und Automatisierung bietet die Chance, die Arbeitsabläufe und Strukturen so zu organisieren, dass die Arbeitsbelastung reduziert wird und die Mitarbeiter mit einem Gefühl der Zufriedenheit („Ich hab wieder was geschafft!“) nach Hause gehen.

3. Sonnenschein – das gute Betriebsklima

Gern in die Kanzlei kommen, fröhliche Kolleginnen und Kollegen und ein zufriedener Chef bzw. Chefin. Davon träumen wir doch alle, wenn wir an die Arbeit denken. Das hat auf den ersten Blick gar nichts mit Digitalisierung zu tun. Doch nutzen Sie die Reise und stellen Sie in einem Team-Workshop – am besten moderiert durch jemand Außenstehenden – einfach mal die Fragen:

  • Wie sieht die ideale Kanzlei aus? Was bedeutet für dich gute Arbeit?
  • Was muss / kann passieren, damit wir alle – Betonung auf alle – zufrieden sind, also ihr als Mitarbeiter, die Mandanten, Finanzamt und Behörden und wir als Chefs?
  • Wie bringen wir diese vielfältigen Anforderungen am besten unter einen Hut?
  • Welche Technik brauchen wir für eine möglichst reibungslose Zusammenarbeit?
  • Was fehlt uns für die Umsetzung?

So beziehen Sie alle Mitarbeiter in den Prozess mit ein und nehmen sie mit auf die Reise.

Widerstände abbauen – „Ja, aber…“ heißt nicht „Nein“

Gerade wenn es um das Thema Digitalisierung und Automatisierung geht, kann das Gefühl der Überforderung aufkommen oder die Angst, dass man überflüssig oder austauschbar wird. Das wird nicht unbedingt offen ausgesprochen, schwingt aber in den Mitarbeiteraussagen oft im Hintergrund mit.

Diskutieren Sie mit Ihren Mitarbeitern offen das Pro und Contra der Digitalisierung

Bereiten Sie sich dazu vor und nehmen Sie die Aussagen Ihrer Mitarbeiter ernst. Die größten Umsetzungschancen haben Sie, wenn Sie von vornherein damit rechnen und bereits im Vorfeld überlegen, wie Sie damit umgehen und eventuelle Einwände entkräften.

Wie sieht das konkret aus? Hier die fünf häufigsten Einwände beim Thema Digitalisierung, die Ihnen begegnen werden und angemessene Reaktionsmöglichkeiten:

1. Das braucht doch viel mehr Zeit. Das jetzige System läuft doch rund.

(Die versteckte Botschaft: Meine jetzige Arbeit beherrsche ich perfekt. Warum soll das auf einmal schlecht sein? Ich brauche für die Umstellung Zeit und kann mir nicht vorstellen, warum es hinterher besser sein soll.)

  • Sie haben recht, zu Beginn benötigen wir mehr Zeit. Doch nach drei bis sechs Monaten läuft das neue System genauso rund wie das bisherige. Sie bekommen ausreichend Zeit und Training, um die neuen Abläufe kennen zu lernen.
  • Was genau glauben Sie, wird mehr Zeit benötigen?
  • Du hast recht, am Anfang werden wir mehr Zeit brauchen. Das ist unsere Anschubfinanzierung. Dafür haben wir in drei Monaten bis sechs Monaten wesentlich entspanntere bzw. bessere Arbeitsabläufe.
2. Die Mandanten wollen / brauchen das nicht.

(Die versteckte Botschaft: Ich will das nicht)

  • An welchen Mandanten denken Sie konkret?

Hier schlägt die Musketier-Falle zu, mehr dazu weiter unten.

3. Wann soll ich das denn auch noch machen?

(Die versteckte Botschaft: Ich bin jetzt schon am Anschlag. Das überfordert mich. Was bringt mir das?)

  • Ich verstehe, dass Sie sich das jetzt fragen.
  • Wie könnte es gelingen, dass wir das zusätzlich schaffen? Welche Voraussetzungen brauchen wir dafür?
4. Diese neuen Technologien können doch nie unsere Arbeit ersetzen.

(Die versteckte Botschaft: Werde ich überflüssig? Wo ist künftig mein Platz in der Kanzlei?)

  • Stimmt, wir sind als Menschen unersetzlich für unsere Mandanten und Mandantinnen.
  • An welche Technologie, die unsere Arbeit ersetzten könnte, denken Sie da genau?
  • Ja, als Menschen werden wir immer gebraucht, aber dabei verändert sich unser Aufgabenfeld. Deshalb beschäftigen wir uns frühzeitig damit, um den Arbeitsplatz für Sie auch in Zukunft attraktiv zu gestalten.
5. Das ist datenschutzrechtlich sehr bedenklich.

(Die versteckte Botschaft: Wer garantiert für die Sicherheit der Daten? Wie können wir Schaden von der Kanzlei vermeiden oder abwenden?)

  • Danke, das ist ein wichtiger Punkt, den wir auf jeden Fall berücksichtigen werden
  • Wie können wir innerhalb der Kanzlei den Datenschutz sicherstellen? An welchen Stellen ist es kritisch und wie können wir hier Sicherheitslücken schließen?

Zwei weitere Tipps
1. Erinnern Sie auch an erfolgreich abgeschlossene Veränderungen!

„Denken Sie doch mal ein paar Jahre zurück. Wie viele Veränderungen haben wir seither erfolgreich durchlaufen. Und am Anfang – siehe Kontoauszugsmanager – war die Skepsis groß, doch heute möchte ihn keiner mehr missen.“

2. Zeigen Sie die „Musketier-Falle“ auf!

Wenn das Wort „ALLE“ oder „IMMER“ oder „JEDER“ fällt, hat meistens die Musketier-Falle zugeschlagen. Wir verallgemeinern Einzelschicksale und behaupten das gilt für alle. Das ist ein typisch menschlicher Reflex: Spontan fallen uns zuerst die Negativ-Erlebnisse ein und wir haben genau den Mandanten im Ohr, der beim letzten Telefonat über diesen neumodischen Kram geschimpft hat. Im ersten und zweiten Schritt geht es um die Mandanten, die dem Thema gegenüber aufgeschlossen sind. Mit denen wird das Projekt „Digitale Zusammenarbeit“ auch begonnen.

Fallen Ihnen noch weitere Einwände ein? Umso besser, dann ergänzen Sie diese gleich und bereiten damit Ihre Argumentationsliste vor.

Diskutieren und visualisieren Sie die Ergebnisse während eines Mitarbeiterworkshops, indem Sie am Flipchart oder einem Pinwand „Einwand / Frage“ und „Lösung“ gegenüberstellen. Wenn zum Abschluss für jeden Einwand ein Lösungsansatz gefunden wurde, haben Sie den wichtigsten Schritt getan, um Ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für die digitale Welt zu gewinnen.

Und wenn alle Stricke reißen?

Ja, so furchtbar es auch klingt: Es kann passieren, dass ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin nicht in den Zug einsteigen will. Alle Argumente und Lösungsvorschläge sind abgeprallt, neue Arbeitsweisen werden abgelehnt, er oder sie hatte mehrere Chancen, sich zu akklimatisieren. Dann heißt es „Bella Ciao“:

Trennen Sie sich – im Guten

Dieser Mitarbeiter hat sich entschieden, einen anderen Weg zu gehen. Reisende (zu einem anderen Ziel) soll man ja bekanntlich nicht aufhalten. Sagen Sie ihm oder ihr, dass Sie die bisherige Zusammenarbeit sehr geschätzt haben und er wertvolle Arbeit geleistet hat. Doch jetzt geht eine Ära zu Ende. So gern Sie mit ihm bisher zusammengearbeitet haben, ist die gemeinsame Reise hier zu Ende und sie wünschen ihm alles Gute für den weiteren Weg. Und genießen Sie mit allen anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Aufenthalt in Digitalien.

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